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Rückerstattung einer Invaliditätsleistung

Private Unfallversicherung: Rückerstattung einer Invaliditätsleistung nach ärztlicher Neubemessung

OLG Brandenburg, Azz: 11 U 95/12, Urteil vom 01.02.2017

Invalier im Rollstuhl
Foto: viewapart / Bigstock

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 23. März 2012, Az. 4 O 133/11, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Berufungsurteil und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Als Sicherheit genügt die schriftliche unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, verlangt von dem im Jahre 1955 geborenen Beklagten, mit dem sie auf der Basis seines Antrages vom 09. Oktober 2003 (Kopie Anlage B1/GA I 34 f.) unter der Policen-Nummer 111162399/030 eine private Unfallversicherung abgeschlossen hat, der ihre Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) 2000 (Kopie in Anlage B6/GA I 58, 62 ff.) zu Grunde liegen, die teilweise Rückgewähr einer bereits ausgereichten Invaliditätsleistung. Der Anspruchsgegner erlitt am 10. und 22. August 2008 im Freizeitbereich Unfälle, bei denen jeweils seine rechte Hand verletzt wurde. Die Anspruchstellerin zahlte ihm daraufhin, gestützt auf das von ihr eingeholte unfallchirurgische Gutachten des Dr. med. E… H… vom 21. Januar 2009 (Kopie Anlage B2/GA I 36 ff.), zunächst € 10.850,00 und später, ausgehend von dem am 02. März 2009 erstellten Zusatzgutachten desselben medizinischen Sachverständigen (Kopie GA II 245 ff.), das einen Dauerschaden im Bereich der rechten Hand im Umfange von 1/2 bejaht, weitere € 23.250,00. Mit Schreiben vom 05. September 2009 (Kopie Anlage B5/GA I 56) beantragte der Beklagte eine Neubemessung der Invalidität. In ihrer Antwort vom 07. September 2009 (Kopie GA II 241) versprach ihm die Klägerin, ein Jahr nach der seinerzeit jüngsten Begutachtung einen neuen Gutachtenauftrag zu erteilen, und wies zugleich darauf hin, dass die bisher erbrachten Leistungen nun als Vorschuss zu sehen seien, der unter dem Recht der Rückforderung stehe. Das dann in Auftrag gegebene unfallchirurgische Gutachten des Dr. med. W… K… vom 10. März 2010 (Kopie GA I 5 ff.) kam zu dem Ergebnis, es bestehe (nur) eine dauerhafte Beeinträchtigung des rechten Zeigefingers von 5/10 und des rechten Mittelfingers von 7/10; bei Letzterem sei eine Vorbeeinträchtigung von 1/10 zu berücksichtigen. Laut ihrem Schreiben vom 19. März 2010 (Kopie GA I 25 f.) bestimmte die Rechtsmittelführerin daraufhin den unfallbedingten Grad der Gesamtinvalidität mit 8 %, was € 9.920,00 entspricht, und forderte die Rückzahlung der weiteren € 24.180,00 (€ 10.850,00 + € 23.250,00 – € 9.920,00). Zwecks näherer Darstellung des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU 2 ff.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Vor dem Landgericht Potsdam streiten die Prozessparteien inzwischen unter dem Aktenzeichen 1 O 324/14 – mit umgekehrter Parteistellung – über Ansprüche des hiesigen Beklagten gegen die Klägerin aus der Unfallversicherung wegen eines Sturzes, den er nach seinem Vorbringen am 06. September 2013 auf dem Wege zu einem Verhandlungstermin im Dienstgebäude des Brandenburgischen Oberlandesgerichts erlitten hat; dieses Verfahren ist durch Beschluss vom 02. November 2015 gemäß § 148 ZPO bis zum Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits ausgesetzt worden.

Beim Landgericht Potsdam, das auch hier als Vorinstanz erkannt hat, ist die Klage erfolglos geblieben. Begründend hat die Zivilkammer ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB lägen nicht vor. Das klägerseits eingeholte Privatgutachten des Dr. med. W… K… überzeuge nicht; ihm fehle eine nachvollziehbare Begründung und es sei in sich widersprüchlich. Einer gerichtlichen Sachaufklärung bedürfe es allerdings nicht, weil das geltend gemachte Rückzahlungsverlangen bereits aus Rechtsgründen scheitere. Mit der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.09.2008 – 3 U 206/06 (juris = BeckRS 2008, 23975) sei Abschn. 9.4 AUB 2000 so auszulegen, dass eine Verschlechterung zulasten des Versicherungsnehmers nicht in Betracht komme, wenn Letzterer die Neubemessung beantragt und der Versicherer selbst sich dieses Recht nicht vorbehalten habe. Im Streitfall sei von der Berufungsführerin bei Auszahlung der Invaliditätsleistung ebenso wenig deutlich gemacht worden, dass es sich dabei nur um jederzeit rückforderbare Vorschüsse handeln solle. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (LGU 5 ff.).

Dieses ist der Klägerin – zu Händen ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten – nach deren Empfangsbekenntnis am 02. April 2012 (GA I 149) zugestellt worden. Sie hat am 27. April 2012 (GA I 156) mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel – nach am 25. Mai 2012 (GA I 162) beantragter und bis zum 30. Juni 2012 (GA I 164) bewilligter Verlängerung der Begründungsfrist – durch einen am 02. Juli 2012, einem Montag, beim Brandenburgischen Oberlandesgericht – vorab per Telekopie (GA I 165 ff.) – eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet (GA I 170 ff.).

Die Klägerin ficht das landgerichtliche Urteil – ihre bisherigen Darlegungen wiederholend und vertiefend – in vollem Umfange ihrer Beschwer an. Dazu trägt sie insbesondere Folgendes vor:

Zu Unrecht sei die Eingangsinstanz nicht in die Beweisaufnahme über die Höhe des zwischen den Parteien streitigen Invaliditätsgrades eingetreten. Da die gutachterlichen Feststellungen des Dr. med. W… K…, die die Zivilkammer mit einer objektiv nicht nachvollziehbaren Gewichtigkeit für unplausibel erachtet habe, erheblich von denen des Dr. med. E… H… abwichen, auf die in den Entscheidungsgründen überhaupt nicht eingegangen werde, drängten sich Zweifel an den Schlussfolgerungen des Letzteren geradezu auf; bei einander widersprechenden Gutachten habe das Gericht nach ständiger höchstrichterlicher Judikatur den Sachverhalt weiter aufzuklären. Mit der vorbehaltlosen Auszahlung der Invaliditätsleistung sei, wie die Vorinstanz selbst zutreffend angenommen habe, keinerlei Anerkenntnis verbunden gewesen, das sie – die Klägerin – an einer Rückforderung hindere. Ebenso wenig entfalteten indes die gutachterlichen Feststellungen des Dr. med. E… H… Bindungswirkung; gemäß Abschn. 9.4 werde der Invaliditätsgrad erst mit der Neubemessung am Ende der Dreijahresfrist endgültig festgesetzt, die davon unbeeinflusst bleibe, wer sie beantragt habe, und die eine Verschlechterung für beide Seiten keineswegs ausschließe. Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main überzeuge nicht und stehe im Widerspruch zur herrschenden Meinung. Wer eine Neubemessung verlange, müsse deren Ergebnis hinnehmen, selbst wenn es ihm ungünstig sei.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten – unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung – zu verurteilen, ihr – der Klägerin – € 24.180,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt – im Kern seine bisherigen Darlegungen ebenfalls wiederholend und vertiefend – das ihm günstige Urteil des Landgerichts. Dazu trägt er insbesondere Folgendes vor:

Der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens habe es schon deshalb nicht bedurft, weil es an substanziiertem Vortrag der Klägerin zu den tatsächlichen Voraussetzungen eines eventuellen Rückforderungsanspruches fehle. Dem Sachverständigen Dr. med. W… K…, der mit der Neubemessung der Invalidität betraut gewesen sei, habe das Zusatzgutachten des Dr. med. E… H…, in dem – im Rahmen der Erstbemessung – ein Dauerschaden im Bereich der rechten Hand von 1/2 bejaht werde, gar nicht vorgelegen, so dass für den neuen Gutachter keine Vergleichsmöglichkeit gegeben gewesen sei. Unabhängig davon weise das Gutachten des Dr. med. W… K… – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe – gravierende Mängel auf; es enthalte pauschale Behauptungen, für die eine Begründung fehle. Tatsächlich sei die rechte Hand am 10. August 2011, drei Jahre nach dem ersten Unfall, (zumindest prognostisch) zu 100 % gebrauchs- und funktionsunfähig gewesen. Dass es keine gerichtsfeste Dokumentation von deren damaligem Zustand gebe, falle der Anspruchstellerin als positive Vertragsverletzung und vorsätzliche Beweisvereitelung zur Last. Im Übrigen scheitere das Rückzahlungsbegehren auch aus rechtlichen Gründen. Die Klägerin habe den ursprünglich festgestellten Invaliditätsgrad vorbehaltlos anerkannt, daraufhin ihre Zahlungen geleistet und könne deswegen jetzt keine Neufestsetzung mehr zu seinen – des Beklagten – Lasten vornehmen. Die vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main vertretene Rechtsauffassung setzte sich immer weiter durch. Sie sei bei vorbehaltloser Zahlung seitens des Versicherers wie Streitfall auch interessengerecht.

Durch Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 (GA II 197) wurde der Rechtsstreit gemäß § 526 Abs. 1 ZPO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hat – nach Verhandlungsterminen am 05. Juni 2013 (Protokoll GA II 205 ff.), 06. September 2013 (Protokoll GA II 243 ff.) und 07. Februar 2014 (Protokoll GA II 326 ff.) – die Sache gemäß § 526 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mit Beschluss vom 14. Februar 2014 (GA II 337 ff.) dem Senat zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt. Durch Beschluss vom 09. April 2014 (GA II 344 ff.) wurde der Rechtsstreit vom Senat übernommen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens betreffend den beim Beklagten vorliegenden Invaliditätsgrad angeordnet. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. med. R… B… hat sich zum Beweisthema in seinem Gutachten vom 23. August 2014 (GA III 408 ff.) sowie in den Ergänzungen vom 01. Juli 2015 (GA III 529 f.), 27. Oktober 2015 (GA IV 581 ff.) und 15. März 2016 (GA IV 705 ff.) schriftlich geäußert; im Termin der mündlichen Verhandlung am 21. Dezember 2016 (GA IV 722, 723) wurde er – auf klägerischen Antrag – persönlich angehört. In sämtlichen Terminen ist die Sach- und Rechtslage mit den Erschienenen im Rahmen von § 139 ZPO eingehend erörtert worden. Zudem haben der Einzelrichter mit Beschlüssen vom 18. Juli 2013 (GA II 213 ff.) und 30. Oktober 2013 (GA II 299 ff.) sowie der Senat durch Beschluss vom 01. September 2015 (GA III 545 ff.) Hinweise und Auflagen erteilt. Wegen der weiteren Details des Sach- und Streitstandes sowie der bisherigen Prozessgeschichte wird ergänzend auf die Anwaltsschriftsätze beider Seiten nebst Anlagen, auf alle Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

A. Die klägerischen Berufung ist zwar an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). In der Sache selbst bleibt sie aber erfolglos. Denn der Senat kommt ebenso wie das Landgericht, wenn auch teilweise aus anderen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin gegen den Beklagten betreffend die hier in Rede stehende Unfallversicherung keinen Anspruch auf eine (partielle) Rückerstattung der bereits ausgezahlten Invaliditätsleistung hat. Die Auffassung, wonach dem Versicherer in Konstellationen der vorliegenden Art schon aus Rechtsgründen – mangels Vorbehalts seines eigenen Rechts auf Neubemessung – kein Rückforderungsanspruch zusteht, teilt der Senat freilich nicht; dies gilt jedenfalls dann, wenn der Versicherungsnehmer – wie hier mit dem Schreiben vom 07. September 2009 (Kopie GA II 241) – zuvor darauf hingewiesen worden ist, dass sich im Rahmen der von ihm gewünschten nachträglichen Überprüfung des Invaliditätsgrades auch Rückzahlungsforderungen gegen ihn ergeben können. Nach der Beweisaufnahme, die in zweiter Instanz durchgeführt wurde, lässt sich indes (aus tatsächlichen Gründen) nicht feststellen, dass die Rechtsmittelführerin den zurückverlangten Teil der Versicherungsleistung ohne einen rechtlichen Grund im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB erbracht hat. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Rechtsfrage, ob sich bei der privaten Unfallversicherung im Rahmen einer Neubemessung des Invaliditätsgrades – wie hier nach Abschn. 9.4 AUB 2000 – eine Verschlechterung zulasten desjenigen Teils, der die Überprüfung verlangt hat, auch dann ergeben kann, wenn der andere Teil sein eigenes Recht darauf bereits verloren hat, wird in der Judikatur und im Schrifttum uneinheitlich beantwortet. Ebenso wie das Landgericht im Streitfall legen die Entscheidungen des OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.09. 2008 – 3 U 206/06 (juris = BeckRS 2008, 23975) und jüngst des OLG Oldenburg, Urt. v. 21.12.2016 – 5 U 96/16 (juris = BeckRS 2016, 112562) den Schwerpunkt auf die prozessuale Seite und kommen im Wege der Auslegung des Nachprüfungsverlangens beziehungsweise der vereinbarten Versicherungsbedingungen zu dem Ergebnis, dass eine Überzahlung vom Versicherer allein dann kondiziert werden darf, wenn dieser sich sein eigenes Recht, die ärztliche Neubemessung vornehmen zu lassen, bereits bei der Ersterklärung über seine Leistungspflicht vorbehalten hat. Dem ist in der Literatur zunächst Kloth (jurisPR-VersR 4/2009 Anm. 5) beigetreten. Er hat diese Auffassung inzwischen allerdings aufgegeben (vgl. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., Teil G Rdn. 236) und sich der herrschenden Meinung angeschlossen, die die materielle Richtigkeit der – infolge weiteren Zeitablaufs besser möglichen – Bestimmung des Invaliditätsgrades betont und es daher für unerheblich hält, von wem letztlich die Neubemessung initiiert wurde (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 27.08.1997 – 2 U 64/96, juris = BeckRS 1997, 07178; eingehend dazu Jacob, VersR 2010, 39, 40 f.; Kloth aaO; ferner Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Ziff. 9 Rdn. 2; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 188 Rdn. 2 und AUB 2010 Ziff. 9 Rdn. 11; Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 188 Rdn. 34). Für diese Ansicht sprechen zumindest dann die besseren Argumente, wenn – wie auf den hiesigen Altvertrag bei Einritt des Versicherungsfalls im Jahre 2008 gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG – die bis zum 31. Dezember 2007 in Kraft gewesene Fassung des Versicherungsvertragsgesetzes weiter anzuwenden ist.

Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Regelung über die Neubemessung lassen sich für den Fall, dass diese eine geringere als die bereits erbrachte Invaliditätsleistung ergibt, Einschränkungen des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs entnehmen. Ihr Zweck besteht demgegenüber erkennbar darin, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer alsbaldigen Auszahlung der Versicherungsleistung einerseits und der zutreffenden Ermittlung des Invaliditätsgrades andererseits zu schaffen, dessen Einschätzung zumindest innerhalb eines bestimmten Zeitraumes unmittelbar nach dem Unfallereignis schwanken kann (zu § 188 VVG vgl. Begr. z. Regierungsentwurf eines VVG-Reformgesetzes, BT-Drucks. 16/3945, S. 47, 109). Deshalb darf ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dessen Verständnis für die Interpretation von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgeblich ist, bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges auch nicht ohne Weiteres annehmen, ein Neubemessungsverlangen könne für ihn keine nachteiligen Folgen haben. Dies gilt umso mehr, wenn er – wie hier der Beklagte – vor dessen Ausführung vom Versicherer explizit auf mögliche Rückforderungsansprüche hingewiesen wurde. Als zumindest gleichberechtigte Auslegungsvariante verbleibt, dass zwischen dem Recht auf die Neubemessung und dem Anspruch aus der Neubemessung zu unterscheiden ist. Dann kann jeder Teil zwar davon absehen, sein Recht auf Neubemessung auszuüben und diese durchzuführen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 02.12.2009 – IV ZR 181/07, Rdn. 31 f., juris = BeckRS 2010, 00704), nach deren Vollzug aber hieraus resultierende Ansprüche des anderen Teils nicht mehr mit einer bloßen Abstandnahmeerklärung abwenden. Da nach dem hier noch anwendbaren alten Recht die in Abschn. 9.4 AUB 2000 enthaltene Regelung, die nicht nur seitens des Versicherers einen rechtzeitigen Vorbehalt erfordert, sondern auch für den Versicherungsnehmer eine Befristung der Rechtsausübung auf sechs Monate vorsieht, keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, ergibt sich ebenso wenig ein für den Letztgenannten günstigeres Verständnis, welches mit Blick auf § 305c Abs. 2 BGB Vorrang genießt. Selbst wenn das Neubemessungsrecht des Beklagten bereits verfristet wäre, die Klägerin ihres noch hätte und ausüben würde, müsste sie ihm gegebenenfalls eine höhere Invaliditätsleistung zahlen, wenn sich eine solche bei der endgültigen Bemessung ergäbe. Der Versicherungsnehmer wird seinerseits vor einer unbilligen Inanspruchnahme materiell-rechtlich durch den Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB und prozessual dadurch geschützt, dass es – wie nachfolgend noch auszuführen ist – dem Versicherer obliegt, die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 Abs. 1 BGB darzulegen und zu beweisen.

2. Dass die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch, als dessen rechtliche Grundlage – wie das Landgericht völlig zutreffend angenommen hat (LGU 5) – allein die Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, im August 2011 – also drei Jahre nach den beiden Unfallereignissen vom Sommer 2008, die hier in Rede stehen – vorgelegen haben, vermochte die Klägerin im Streitfall allerdings nicht nachzuweisen.

a) Nach ganz herrschender Auffassung, die der Senat in ständiger Rechtsprechung teilt, trägt im Rahmen des § 812 BGB – den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen folgend – regelmäßig der Bereicherungsgläubiger als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände, aus denen sich seine Forderung ergeben soll, was selbst sogenannte negative Tatsachen wie hier das Fehlen eines rechtlichen Grundes einschließt (vgl. dazu Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 812 Rdn. 76 f., m.w.N.). Dies gilt auch für Rückforderungsprozesse des Versicherers gegen seinen Versicherungsnehmer wegen überzahlter Versicherungsleistungen (vgl. dazu van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 6. Aufl., § 1 Rdn. 342; Veith in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Aufl., § 2 Rdn. 3 ff. [insb. 4]). Insbesondere obliegt es einem Unfallversicherer wie der Klägerin, der geltend macht, aufgrund der Erstbemessung der Invalidität sei eine zu hohe Entschädigung gezahlt worden, im Bestreitensfalle den Nachweis zu führen, dass der wirkliche Invaliditätsgrad geringer ist als ursprünglich angenommen (vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 01.03.2006 – 20 U 182/05, LS und Rdn. 27, juris = BeckRS 2006, 05041; Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., Teil G Rdn. 237 und Teil P Rdn. 13; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 187 Rdn. 6). Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 09. April 2014 (GA II 344 ff.) das Beweisthema formuliert. Die Voraussetzungen für das Entstehen eines vertraglichen Anspruches auf Invaliditätsleistung zu bestreiten, hilft dem Versicherer im Rückforderungsprozess prinzipiell nicht weiter.

Abweichendes gilt zwar dann, wenn die Zahlung lediglich als Vorschuss oder Abschlag auf eine noch ungewisse, erst festzustellende Verbindlichkeit erfolgt ist (vgl. dazu Palandt/Sprau aaO Rdn. 77, m. w.N.). So verhält es sich hier aber keineswegs. Denn die Anspruchstellerin hat weder bei der Zahlung der € 10.850,00 laut ihrem Schreiben vom 04. Februar 2009 (Kopie Anlage B7/GA I 108) noch bei der Entrichtung der weiteren € 23.250,00 gemäß ihrem Schreiben vom 26. März 2009 (Kopie Anlage B3/GA I 53 f.) erkennen lassen, dass dem Beklagten diese finanziellen Mittel lediglich vorab und vorläufig zufließen sollten. Ebenso wenig stand es in ihrer Macht, mit Schreiben vom 07. September 2009 (Kopie GA II 241) die schon ausgezahlten Beträge aufgrund des Nachbemessungsverlangens des Beklagten nachträglich zu Vorschussleistungen zu erklären. Dass die beiden Stufen der Invaliditätsbemessung, die das Recht der privaten Unfallversicherung vorsieht, dergestalt miteinander verknüpft sind, dass die Erstbemessung unter dem Vorbehalt einer Änderung steht, soweit sich wenigstens eine der Vertragsparteien die Neubemessung vorbehalten hat und es tatsächlich zu einer Neubemessung kommt, ändert nichts daran, dass beide jeweils rechtlich eigenständig zu betrachten sind (vgl. BGH, Urt. v. 02.12.2009 – IV ZR 181/07, Rdn. 24 f., juris = BeckRS 2010, 00704). Insbesondere ist die Invaliditätsleistung, die der Versicherer bereits nach der jeweiligen Erstbemessung entrichtet, keine bloße Abschlagszahlung gemäß dem Verständnis von § 14 Abs. 2 VVG (§ 11 Abs. 2 VVG a.F.).

b) Im Ergebnis der Beweisaufnahme, die vom Senat in der Berufungsinstanz durchgeführt wurde, lässt sich nicht konstatieren, dass die beiden Unfallereignisse vom 10. und 22. August 2008 beim Beklagten nur zu einer Beeinträchtigung des rechten Zeigefingers von 5/10 sowie des rechten Mittelfingers von 7/10 abzüglich 1/10 Vorbelastung geführt haben. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R… B… konnte zunächst Feststellungen allein für den Zeitpunkt treffen, zu dem er selbst den Anspruchsgegner untersucht hat; per 19. September 2014 wurde die Minderung der Gebrauchs- und Funktionsfähigkeit der rechten Hand vom Gutachter mit 100 % eingeschätzt. Dabei hat er schon in der ersten schriftlichen Stellungnahme zum Beweisthema ausgeführt, dass und warum die von der Klägerin vorgerichtlich eingeholten Privatgutachten in Teilen falsch sind und erhebliche wissenschaftliche Mängel aufweisen. So lasse das Gutachten des Dr. med. W… K… einen Vorbefund des Unfallkrankenhauses … sowie von dem Privatsachverständigen selbst beschriebene Symptome wie eine teigige Schwellung des Handrückens und einen erheblich mangelnden Faustschluss außer Acht (GA III 408, 419). Selbst wenn es bei der Unaufklärbarkeit des konkreten Zustandes der rechten Hand des Beklagten vor dem weiteren Unfallereignis am 06. September 2013 verblieben wäre, hätte die Berufung angesichts der bereits oben erörterten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast erfolglos bleiben müssen. Feststellen konnte der gerichtliche Sachverständige indes jedenfalls, dass sich bereits infolge des Unfallereignisses vom 10. August 2008 bei dem Berufungsgegner ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome = CRPS) entwickelt hat (GA III 416 und 529 f.). Nachdem ihm beklagtenseits weitere Behandlungsunterlagen auch betreffend das Unfallereignis vom 06. September 2013 zur Verfügung gestellt worden sind, konnte der vom Senat beauftragte Gutachter schließlich – gestützt auf einen Befund vom 27. April 2012, der in einem ärztlichen Behandlungsbericht des Dr. med. M… Ki… enthalten ist – zu der Einschätzung gelangen, dass seinerzeit ein CRPS im Stadium II bestand (GA III 584 f.) und die Minderung der Funktionsfähigkeit des rechten Armes drei Jahre nach dem Unfallereignis vom 10. August 2008 4/10 betragen habe (GA IV 707). Bei einer Versicherungssumme von € 124.000,00 entspricht das – unter Berücksichtigung der im Abschn. 2.1.2.2.1 AUB 2000 enthaltenen sogenannten Gliedertaxe – einer Invaliditätsleistung von € 34.720,00 und ist mehr als die Klägerin insgesamt bereits an den Beklagten gezahlt hat. Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat im Termin der mündlichen Verhandlung am 21. Dezember 2016 bekundete der gerichtliche Sachverständige ferner, dass jedenfalls auch ein halber Handwert zu bejahen sei (GA IV 723). Angesichts dessen kann und soll hier explizit offen bleiben, ob zutreffende Bezugsgröße im Streitfall der volle Arm- oder der volle Handwert ist. Rückzahlungsansprüche ergeben sich für die Berufungsführerin bei keiner der beiden Varianten. Die Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. R… B…, der beruflich im Bereich der Universitätsmedizin tätig ist, berücksichtigen den gesamten Tatsachenstoff und sind für den Senat plausibel. Der Sachverständige hat nachvollziehbar die wissenschaftlichen Mängel der Privatgutachten aufgezeigt, die vorgerichtlich von der Klägerin eingeholt worden sind. Er hat außerdem erläutert, dass er aufgrund des Befundes vom 27. April 2012, über den von Dr. med. M… Ki… berichtet wurde, über bessere Einschätzungsmöglichkeiten verfügte als das Unfallkrankenhaus …. Da der von den Parteien vorgetragene Sachverhalt im Rahmen eines Zivilprozesses wie hier keine weiteren Sachaufklärungsmöglichkeiten mehr bietet, ist der Rechtsstreit zulasten der Berufungsführerin entscheidungsreif.

B. Der Kostenausspruch folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Danach fallen die Kosten der erfolglosen Berufung der Klägerin zur Last, weil sie das Rechtsmittel eingelegt hat.

C. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils und der angefochtenen Entscheidung gründet sich auf den § 708 Nr. 10 ZPO sowie auf § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO. Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung hat der Senat gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung der in § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO und in § 239 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken bestimmt.

D. Die Revision wird durch den Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Denn die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Die Beantwortung der ungeklärten Frage, ob in der Unfallversicherung im Rahmen einer durch den Versicherungsnehmer begehrten Neubemessung des Invaliditätsgrades – wie hier nach Abschn. 9.4 AUB 2000 (GA I 62, 65) – eine Verschlechterung für ihn selbst dann eintreten kann, wenn sich der Versicherer bei der Erklärung über seine Leistungspflicht kein Recht zur Neubemessung vorbehalten hat, ist im Streitfall letztlich nicht entscheidungserheblich: Auch wenn man sie bejaht, bleibt die klägerische Berufung erfolglos, da sich schon in tatsächlicher Hinsicht eine Verringerung des Invaliditätsgrades nicht feststellen lässt; der Beklagte wird durch das Urteil des Senats nicht beschwert. Es beruht somit im Wesentlichen auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich.

E. Der Gebührenstreitwert für den zweiten Rechtszug ist bereits – durch den seinerzeit zuständigen Einzelrichter – mit Beschluss vom 05. Juni 2013 (GA II 205, 206) auf € 24.180,00, den Nennwert des mit der Berufung weiterverfolgten Zahlungsbegehrens, festgesetzt worden.

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