BGH, Az: IV ZR 124/15, Urteil vom 18.11.2015
Leitsätze:
1. Für die Erstbemessung der Invalidität kommt es hinsichtlich Grund und Höhe grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist an (hier: 18 Monate).
2. Der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist nur maßgebend dafür, ob sich rückschauend bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist (Nr. 2.1.1.1 AUB) bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnen.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Januar 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten – soweit noch für das Revisionsverfahren von Belang – auf Rückzahlung geleisteter Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Zwischen den Parteien besteht gemäß Versicherungsschein vom 18. Dezember 2006 ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen „Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2003)“ zugrunde. In deren Ziff. 2.1 ist unter Invaliditätsleistung unter anderem geregelt:
„2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist
– innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall eingetreten und
– innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.“
Weiter heißt es in Ziff. 9 unter „Wann sind die Leistungen fällig?“:
„9.1 Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats – beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten – zu erklären, ob und in welcher Höhe wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen:
9.1.1 Nachweis des Unfallhergangs und der Unfallfolgen,
9.1.2 beim Invaliditätsanspruch zusätzlich der Nachweis über den Abschluss des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung der Invalidität notwendig ist. …
9.4 Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. …“
Der Vertrag sieht eine Unfallinvaliditätssumme von 105.000 € sowie zusätzlich „Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (225%)“ (im Folgenden: Progressionsstaffel) vor. Diese bestimmen, dass (a) für 25 Prozentpunkte des unfallbedingten Invaliditätsgrads der Versicherer die Invaliditätsleistung aus der im Versicherungsschein festgelegten Invaliditätssumme festlegt und dass (b) jeder Prozentpunkt, der den unfallbedingten Invaliditätsgrad von 25%, nicht aber 50% übersteigt, vom Versicherer bei der Berechnung der Invaliditätssumme mit zwei multipliziert und der Invaliditätssumme gemäß a) hinzugerechnet wird. Beigefügt ist eine Tabelle mit nach vollen Prozentpunkten bemessenen Invaliditätsgraden.
Der Beklagte erlitt am 28. April 2007 einen Unfall, als er bei Reparaturarbeiten am Dach eines Gebäudes abstürzte, und stellte bei der Klägerin einen Leistungsantrag. Diese leistete ausweislich ihres Schreibens vom 14. Januar 2010 Vorschusszahlungen in Höhe von 86.719,50 € an den Beklagten, die sie auf der Basis 1/10 Beinwert links, 1/3 Handwert rechts sowie 2/7 Armwert links und damit nach einem Gesamtinvaliditätsgrad von 52,53% (nach Progression: 82,59%) berechnete. Zugleich wies sie darauf hin, den gezahlten Betrag zurückzufordern, wenn die abschließende Untersuchung ergeben sollte, dass der Vorschuss zu hoch bemessen war. Nach weiteren ärztlichen Untersuchungen, zuletzt am 14. Juni 2010, setzte die Klägerin den unfallbedingten Invaliditätsgrad mit Schreiben vom 22. Juli 2010 auf 43,5% (nach Progression: 62,0%) fest unter Berücksichtigung von 3/10 Armwert links und 3/10 Handwert rechts. Ferner forderte sie den überzahlten Vorschuss in Höhe von 21.619,50 € vom Beklagten zurück.
Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad des Beklagten zum 28. April 2010 eingeholt. Mit Urteil vom 28. Mai 2014 hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 18.469,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2012 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt er weiter eine Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfS 2015, 456 (m. Anm. Rixecker) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, zwar handele es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um eine Neubemessung, sondern um die abschließende Erstbemessung der Invalidität. Dies führe aber nicht dazu, dass hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beklagten auf einen anderen Zeitpunkt als den durch den gerichtlichen Sachverständigen begutachteten (28. April 2010) abzustellen sei. Auch wenn für die gerichtliche Überprüfung der Erstfeststellung der Invalidität die in Ziff. 9.4 AUB 2003 hinsichtlich der Neubemessung festgelegte Dreijahresfrist für die ärztliche Bemessung der Invalidität nicht gelte, sei in einem Rechtsstreit der Ablauf dieser Dreijahresfrist der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung des Ausmaßes einer etwaigen Invalidität, wenn der Versicherer in der Dreijahresfrist wiederholt Vorschusszahlungen erbracht und sich vor Fristablauf nicht zur endgültigen Erstbemessung in der Lage gesehen habe. Die Regelung in Ziff. 9.4 AUB 2003 diene dem Interesse des Versicherungsnehmers an einem alsbaldigen Erhalt einer Invaliditätsleistung. Zugleich solle verhindert werden, dass die ab-schließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werde. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszwecks sei es nicht sachgerecht, wenn nach Ablauf der Dreijahresfrist eintretende Änderungen für die Invaliditätsprognose Berücksichtigung finden könnten, falls überhaupt keine Erstfestsetzung innerhalb von drei Jahren erfolgt sei. Dagegen sei es nicht interessengerecht, auf den letztlich nicht vorherbestimmbaren und weit nach Ablauf der drei Jahre liegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Gleichfalls sei nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 (18 Monate) maßgeblich. Der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung setze keinen bestimmten Umfang oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraus. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Beklagten zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten das Landgericht und der Sachverständige zutreffend berücksichtigt.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für den Umstand, dass der Sachverständige den Beklagten vor der Abfassung des Gutachtens nicht persönlich untersucht habe. Schließlich sei auch die Berechnung des Invaliditätsgrads nach den Progressionsbedingungen zutreffend erfolgt. Insbesondere sei aus den Formulierungen in der Progressionsstaffel für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar erkennbar, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% lägen, mit dem Faktor zwei multipliziert werden sollten.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden (grundlegend Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 – IV ZR 271/06, VersR 2008, 527 Rn. 10 f.; ferner Senatsurteile vom 1. April 2015 – IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 2. Dezember 2009 – IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24; Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 – IV ZR 256/10, juris und vom 22. April 2009 – IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den vereinbarten AUB 2003 zunächst entnehmen, dass der Versicherer gemäß Ziff. 9.1 verpflichtet ist, bei einem geltend gemachten Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten zu erklären, ob und in welchem Umfang er den Anspruch anerkennt. Die Fristen beginnen mit dem Eingang der in Ziff. 9.1 genannten Unterlagen. Aus Ziff. 9.4 wird er sodann entnehmen, dass beide Vertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Eine derartige Neubemessung der Invalidität kommt mithin erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 aaO).
In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nimmt das Berufungsgericht auf dieser Grundlage – entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung – an, dass es sich bei dem Schreiben der Klägerin vom 22. Juli 2010 um die abschließende Erstbemessung der Invalidität und nicht um eine Neubemessung handelt. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Schreiben vom 14. Januar 2010 und 22. Juli 2010 unterliegt als tatrichterliche Würdigung nur einer eingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts findet indessen die für die Neubemessung der Invalidität geltende Dreijahresfrist auf deren Erstbemessung keine Anwendung (unten a). Es kommt – wie das Berufungsgericht zutreffend sieht – für die Erstbemessung auch nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder weitere in der Rechtsprechung und Literatur erwogene Anknüpfungspunkte an (unten b). Maßgeblich ist für die Erstbemessung vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist – hier 18 Monate – abzustellen (unten c).
a) Zwar wird aus Ziff. 9.4 AUB 2003 ersichtlich, dass sich nach einer Erstbemessung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses – wie hier – mangels Erstfestsetzung nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum (Senatsurteil vom 1. April 2015 – IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; Senatsbeschluss vom 21. März 2012 – IV ZR 256/10, juris). Wäre der Versicherer bei jeder medizinischen Unwägbarkeit berechtigt, drei Jahre schon mit der Erstbemessung zuzuwarten, liefe das dem System der AUB mit der Unterscheidung zwischen Erst- und Neubemessung zuwider (so zu Recht OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.). Bei identischen Fristen für Erst- und Neufestsetzung wäre die Differenzierung zwischen beiden unverständlich und das Neufestsetzungsverfahren weitgehend obsolet.
Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es auf die Dreijahressfrist an, wenn – wie hier nicht – innerhalb dieses Zeitraums eine Partei die vorbehaltene Neubemessung verlangt (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 – IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24). Entsprechendes gilt, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf der dreijährigen Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen (Senatsurteil vom 4. Mai 1994 – IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 c; kritisch Jacob, VersR 2014, 291, 292; ders. AUB Unfallversicherung 2010 Ziff. 2.1 Rn. 70). Auch ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
b) Entscheidender Zeitpunkt für die Erstbemessung – insoweit ist dem Berufungsgericht beizupflichten – ist auch nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574).
Tritt ein Dauerschaden im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 binnen 18 Monaten oder einer anderen vereinbarten Frist (gemäß Ziff. 2.1.1.1 der Musterbedingungen AUB 2008/2010 innerhalb eines Jahres) ein, besagt diese Frist zwar nicht, dass bei der nachfolgenden Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände herangezogen werden dürfen, die innerhalb der Invaliditätseintrittsfrist erkennbar geworden sind. Vielmehr können die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität des Versicherungsnehmers im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung offenbar gewordenen Umstände heranziehen (vgl. Senatsurteile vom 1. April 2015 – IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 22. April 2009 – IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19).
Hieraus folgt aber nicht, dass maßgebender Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität und der nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 anzustellenden Prognose erst der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574). Ansonsten wäre die Erstbemessung der Invalidität auf einen zeitlich von vornherein nicht feststehenden und nicht bestimmbaren Zeitpunkt hinaus geschoben und hinge etwa vom Regulierungsverhalten des Versicherers, der Prozessführung der Parteien sowie gerichtsinternen Abläufen ab. Auf derartige Zufälligkeiten, die in jedem Fall unterschiedlich sein können, kann es für den maßgeblichen Zeitpunkt der Erstfeststellung der Invalidität nicht ankommen (vgl. OLG Hamm ZfS 2015, 453, 454; Rixecker, ZfS 2015, 458, 459; Jacob, r+s 2015, 330, 331 f.; ders. jurisPR-VersR 4/2015 Anm. 5; ders. VersR 2014, 291, 293; Kloth, jurisPR-VersR 7/2014 Anm. 3; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; anders Dörrenbächer, VersR 2015, 619, 620).
Aus demselben Grund kann – von Ausnahmefällen abgesehen (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 – IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b) – auch nicht der Zeitpunkt der vom Versicherer veranlassten ärztlichen Invaliditätsfeststellung maßgeblich sein (so aber OLG Hamm ZfS 2015, 453; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. G Rn. 145, 149; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; ähnlich OLG München VersR 2015, 482, 483, das den Zeitpunkt der Erstbemessung durch den Versicherer für maßgeblich hält). Ob und wann diese ärztliche Invaliditätsfeststellung erfolgt, hängt vom Zeitpunkt der Meldung des Unfallereignisses durch den Versicherungsnehmer, der Beauftragung eines ärztlichen Gutachters durch den Versicherer und der dann erfolgten ärztlichen Feststellung ab. Diese zeitlichen Zufälligkeiten können nicht maßgebend für die Frage des Bestehens bedingungsgemäßer Invalidität sein. Soweit schließlich teilweise vertreten wird, es sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der weitergehende Abschluss des Heilverfahrens erstmals eine zuverlässige Invaliditätsfeststellung zulasse (Jacob, VersR 2014, 291, 294; ders. Unfallversicherung AUB 2010 Ziff. 2.1 Rn. 64, 66), wird der Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität mit demjenigen der ärztlichen Feststellung sowie der Fälligkeit der Invaliditätsleistung nach Abschluss der erforderlichen Ermittlungen vermischt.
c) Entscheidend kommt es für die Erstbemessung der Invalidität bezüglich Grund und Höhe vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist an, hier gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 – IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b; OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; ders. VersR 2009, 976, 978; Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Ziff. 2 AUB Rn. 10; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 9 Rn. 16; Rixecker in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 188 Rn. 2; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.; dies. r+s 2009, 441, 451; Brockmöller, r+s 2012, 313, 315; anders Völker/Wolf, VersR 2015, 1358, 1360).
Den Ziff. 2.1.1.1 und 9.1, 9.4 AUB 2003 mit den dort genannten Fristen für den Eintritt der Invalidität sowie deren Neubemessung liegt der auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Zweck zugrunde, die abschließende Bemessung der Invalidität nicht auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. Die Regelung wird den Interessen beider Parteien gerecht, indem zum einen sich nach dem Unfall ergebende Veränderungen des Gesundheitszustandes berücksichtigt werden können, zum anderen die abschließende Festsetzung der Invalidität innerhalb überschaubarer Zeit auf der Grundlage eines feststehenden Bemessungszeitpunkts vorzunehmen ist.
Dem steht nicht entgegen, dass nach der neueren Senatsrechtsprechung die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen können. Dies bedeutet lediglich, dass auf der Grundlage des Erkenntnisstandes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung rückschauend eine Betrachtung vorzunehmen ist, ob sich bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist (hier 18 Monate) bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnen, nicht dagegen, ob spätere, unvorhersehbare gesundheitliche Entwicklungen die Prognoseentscheidung im nachhinein verändern (vgl. Rixecker, ZfS 2015, 458, 459 f.; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 325).
III. Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist auch entscheidungserheblich, da die bisherigen Feststellungen der Invalidität des Beklagten auf der Grundlage des dem Sachverständigen vorgegebenen Stichtags, dem 28. April 2010 (drei Jahre nach dem Unfallzeitpunkt), beruhen. Bei der neuen Begutachtung wird dem Sachverständigen demgegenüber vorzugeben sein, dass es darauf ankommt, ob rückschauend auf den 28. Oktober 2008, d.h. 18 Monate nach dem Unfall, von einer Invalidität im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 auszugehen und mit welchem Grad diese gegebenenfalls zu bemessen war.
Der Sachverständige wird im Rahmen seiner erneuten Begutachtung ferner zu beurteilen haben, ob eine persönliche Untersuchung des Beklagten erforderlich ist oder ob die vorliegenden Untersuchungsergebnisse Dritter eine ausreichende Beurteilungsgrundlage bilden. Hierfür ist insbesondere maßgeblich, ob dem Sachverständigen durch eine eigene Untersuchung eine retrospektive Beurteilung der Invalidität des Beklagten zum Stichtag 28. Oktober 2008 besser möglich ist als durch eine bloße Begutachtung von Fremdbefunden. Bei diesen ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass der Beklagte die Untersuchungsergebnisse der Privatgutachter der Klägerin bestritten hat.
Schließlich wird das Berufungsgericht bei der nach dem Ergebnis der sachverständigen Beurteilung erneut vorzunehmenden Berechnung des Invaliditätsgrades nach der Progressionsstaffel zu beachten haben, dass auch deren Auslegung nach den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu erfolgen hat. Hierbei wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dieser entnehmen können, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% liegen, mit dem Faktor 2 multipliziert werden sollen. Dabei wird er mangels anderweitiger ausdrücklicher Klarstellung durch die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass entsprechend allgemeinen mathematischen Grundsätzen eine Auf- oder Abrundung bis zum nächsten vollen Invaliditätspunkt zu erfolgen hat.